FÖRDERLICHES MILIEU GESTALTEN Im Modul II, in der Außenwohngruppe 17 findet die Verselbständigung der Eltern statt. Aufgenommen werden Mütter aus dem Modul I, es sind aber auch Aufnah- men direkt ins Modul II möglich. Die hier aufgenommenen Mütter/Väter müssen nicht rund um die Uhr betreut werden, sondern können grundlegende Abläufe in der Alltagsversorgung der Kinder und des Haushaltes meist eigenverantwort- lich bewältigen. Die Schwerpunkte der Unterstützung liegen zum einen im Er- werb aller notwendigen erzieherischen Kompetenzen und Verantwortlichkeiten, zum anderen in der Förderung der leben- spraktischen Fertigkeiten. Wie dies ge- lingt, erzählen die Pädagoginnen Kathrin Prikryl und Ingrid Reuter. Die Mitarbeiterinnen der Gruppe se- hen sich verantwortlich, für Mutter/ Vater und Kind ein entwicklungsför- derndes Milieu zu gestalten. „Konkret bedeu- te dies, einen liebevollen äußeren Rahmen mit Struktur und Verlässlichkeit zu schaffen“, berichten die Pädagoginnen. „Wir erarbeiten mit den Müttern beispielsweise Strukturen für die Haushaltsführung, der Tages- und Freizeitgestaltung sowie im Umgang mit Finanzen.“ „Dabei achten wir darauf, die Verantwortung dort zu lassen, wo sie hin- gehört und erarbeiten gemeinsam eine für sie angemessene Tagesstruktur“, berichtet Kathrin Prikryl. Auf diese Weise habe der El- ternteil selbst die Chance, die Situation auch in Bezug auf das Wohlergehen des Kindes zu reflektieren und mit der Bezugsbetreuerin Lösungen zu erarbeiten. Ein großer Anteil der Arbeit seien adminis- trative Tätigkeiten. Exemplarisch sei hier der Bereich der Finanzen erwähnt: „Häufig kommen Frauen, die den Überblick über ihre Finanzsituation verloren haben “, sagt Ingrid Reuter. Zunächst einmal gelte es dann, alle eintreffenden Rechnungen zu sammeln, eventuell Ratenzahlungen zu vereinbaren, mit der Schuldnerberatung Kontakt aufzu- nehmen und Pfändungsbefehle abzuwenden, dabei stets die Versorgung des Kindes zu gewährleisten, auch wenn sofort alle Gel- der eingefroren sind, Kinder- und Elterngeld beantragen, Abtretungserklärungen zuguns- ten des Jugendamtes verfassen und ande- ren Schriftverkehr. Von Bedeutung sei, diese Schritte gemeinsam mit dem Elternteil zu- sammen zu gehen, damit dieses sukzessive mehr Selbständigkeit in den entsprechenden Aufgaben erwerbe. „Dann gibt es noch die ganzen anderen Bereiche wie Kontaktpflege zu Jugendämtern, Ärzten, Kinderärzten, Klini- ken, Kinderbetreuung, Kindergarten, Schule, Ausländerbehörde, Schulen, Nachhilfelehrern etc. Vor dem Auszug verbringen wir viel Zeit mit Wohnungssuche und Anträge stellen beim Jobcenter“, ergänzt Ingrid Reuter. Häufig ginge es in den Gesprächen mit den Klientinnen und Klienten auch darum, an der Veränderung der Wahrnehmung zu arbeiten. „Viele haben ein negatives Selbstbild, was die Einschätzung von Situationen verzerrt“, be- richten Kathrin Prikryl und Ingrid Reuter wei- ter. Wenig hilfreiche Deutungen in sozialen Situationen lassen sich manchmal durch neue angemessene Sichtweisen auf die Situation verändern, was die Mütter als sehr befreiend erleben. Es sei in der Regel eine Gratwan- derung im Bemühen, alle Bedürfnisse von Mutter/Vater und Kind unter einem Hut zu bringen. „Wir arbeiten immer anwaltschaft- lich im Interesse einer förderlichen Beziehung zwischen Mutter und Kind“, betont Kathrin Prikryl. Manchmal erleben die Pädagoginnen schwer auszuhaltende Situationen in ihrer Arbeit. Dann nämlich, wenn Mütter auf grenzwerti- ge Weise mit ihren Kindern umgehen, noch keinen Blick für deren Bedürfnisse haben und unangemessen reagieren. „Grundsätzlich ist es so, dass es immer darauf ankommt, viel Wertschätzung und Respekt für die Mutter/ den Vater in ihrer besonderen Lebenslage und –weise sowie der ganzen Verantwortung für das Kind zum Ausdruck zu bringen, auch wenn sie/er aus unserer Sicht eher frag- würdig handelt“, sagt Kathrin Prikryl. Daher spiele gerade das Interaktionstraining eine ganz große Rolle, bei dem die Mütter/Väter lernen, die kleinkindlichen Ausdrucksformen besser zu verstehen und auf die Bedürfnisse des Kindes einzugehen. Dies werde sowohl im Alltag als auch im Marte-Meo Training eingeübt. Eine klare Grenze verlaufe aller- dings dort, wo das Kindeswohl gefährdet sei. Leider gebe es immer wieder auch Konstel- lationen, in denen die Fremdunterbringung des Kindes notwendig werde. Hier kämen die Mitarbeiterinnen zusammen mit dem Jugendamt zu dem Entschluss, dass die Res- sourcen des Elternteiles nicht ausreichend seien, um dem Kind ein Milieu zu bieten, in dem es ohne großen Schaden aufwachsen kann. Dabei sei es das Anliegen des Teams, die Familie zu begleiten, bis die Mutter/ der Vater den Schritt mitgehen könne, das Kind abzugeben. „Dies ist häufig ein kräf- tezehrender Prozess. Dabei ist es wichtig, dass zuvor immer wieder sehr transparent mit der Mutter gesprochen wurde. Sie muss verstanden haben, was ihr Kind zu einer gesunden Entwicklung braucht und dann erkennen, dass sie im Moment dazu nicht in der Lage ist, ihm das zu geben“, berichtet Ingrid Reuter. Für diese Gespräche brauche es viel Feingefühl, damit sich die Mutter aus Liebe und Verantwortung zum Kind zu diesem Schritt durchringen könne. „Dazu braucht sie Zeit“, sagt Ingrid Reuter. „Dann muss eine aufnehmende Einrichtung für das Kind gefunden werden, die Kontaktaufnah- me angebahnt und gegenseitige Besuche initiiert und begleitet werden.“ So könne es vorkommen, dass das Team unter hohem Einsatz über Wochen und manchmal auch Monate ausgleichend und unterstützend in eine Familie hineinwirke. „Wir wünschen uns natürlich, auf diese Weise eine nachhaltige Lösung zu initiieren, in der Hoffnung, dass den Kindern eine leidvolle Kette von gericht- lichen Auseinandersetzungen erspart bleibt“, betonen die Pädagoginnen. „Aber unser Anliegen ist ja, die Klientinnen und Klienten mit ihren Kindern in die Selb- ständigkeit zu entlassen“, berichtet Ingrid Reuter und Kathrin Prikryl ergänzt: „Ja, da gibt es auch viele schöne Momente in der Ar- beit. Zum Beispiel, wenn eine Mutter beginnt, mit ihrem Baby auf eine liebevolle Art und Weise umzugehen, sodass es innerhalb we- niger Wochen seine Entwicklungsrückstände aufholen kann.“ 9